Wheels – konzentrische Erzählung
Kaum eine Form in der Kulturgeschichte ist uns so vertraut, wie der Kreis, das Rund, das kreisförmige Rad, das WHEEL. Das Rad in all seinen Gebrauchsmustern ist uns eine unverzichtbare zivilisatorische Errungenschaft, wie gleichzeitig in seiner Kreisform ein Symbol des Vollkommenen, des Unendlichen, des Spirituellen, des Kreislauf des Lebens, der Wiedergeburt, als Sonnensymbol und als Rad ein archaisches Symbol für Dynamik und Geschwindigkeit, Schicksal und Zeit. Das Leben und der Kreis – sind symbiotisch verbunden.
„Alles, was Du ausdrücken willst, ist Form“, gab der katalanische Maler Antoni Tàpies (1923-2012) Bernd Caspar Dietrich mit auf den Weg. „Male nichts, was real vorhanden ist, drücke es ab, bringe es so wie es ist auf die Leinwand. Alles ist Information und braucht keine Übersetzung.“ Mit der Serie WHEELS folgt Bernd Caspar Dietrich konsequent den Worten seines spanischen Lehrmeisters, den er Ende der Achtziger Jahre in Düsseldorf in der Galerie Hete Hünermann kennengelernt hat. Tàpies motivierte BCD mit Sand zu arbeiten.
Mit der Serie WHEELS erzählt BCD von seinen Reisen und erlebten Geschichten. Immer sind es abgeschlossene Zyklen und konzentrische Erinnerungsspiralen, die großflächig, meist pastos Sandmühlen-artig die Bildmitte beherrschen. Immer drehen sie sich in vitruvianischer Manier um das Zentrum, um den Nabel, den inneren virtuellen Kreis. Wie separiert steigen die Erinnerungsnarrative aus den quadrierten Bilduntergründen auf und lassen sie als Erzählbühne der Geschichte zurück. Als gäben sie ihre Gedanken frei und laden sie Mantra-ähnlich zu einer Resonanzbeziehung mit dem Betrachtenden ein. Die WHEELS öffnen sich für individuelle Gedanken und Erinnerungen, sie schenken das immanente Licht weiter und sind sich im gleichen Moment selbst genug. Für eine diffuse Reflexion in den WHEELS sorgt bei einigen Werken das Malmittel „Glasmehl“, welches auch in Straßenverkehrsschildern für Reflexionen sorgt. Wenn der Betrachtende den Blickwinkel vor dem Werk verändert, sich bewegt, verändert sich das Werk. Bernd Caspar Dietrich arbeitet ebenso mit Spuren von Eisenoxyd im Untergrund, die mit zunehmender Luftfeuchtigkeit ihre Farbe ändern und Gedanken atmen. Als ein Bildgedächtnis setzt BCD verschiedene Phosphorarten ein, die die Bewegung vor dem Bild für die Ewigkeit speichern, sofern ein Strahler auf das Bild gerichtet ist. Ebenso wie Phosphor für das Leben verantwortlich ist, leuchten die Werke im Dunkeln – als wäre das Leben auch in ihnen. Eine fast magische Erfahrung: das Wirken der Bilder aus sich selbst.
Werkreihe „Metamorphose“
Bilder aus der Werkreihe Metamorphose haben verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen. Sie sind in verschiedenen Schichten aus Sand, Beton, Pigment, Knochenleim und Wasser aufgebaut. Sie wurden aufgespannt, gerahmt und an exponierten Orten gezeigt.
Gleichzeitig ruhen diese Bilder in einem Puppenstadium. Sie kommen ins Atelier zurück, häuten sich und bringen etwas vollkommen Neues hervor. Zoologisch – und mit der Bitte um Nachsicht, folgt hier ein gegoogelter Mini-Exkurs in die Biologie – wird die Puppe zur sogenannten Imago, dem geschlechtsreifen Vollinsekt. Eine Puppe bezeichnet, ein morphologisch klar abgegrenztes, meist fast oder völlig bewegungsloses Übergangsstadium. Über die Puppenruhe wird aus einem Engerling ein fertiger Käfer und aus einer Raupe ein Schmetterling. Metamorphosen können vollständig oder unvollständig sein, im letzteren Fall vergrößert sich der Hinterleib von eierproduzierenden Weibchen noch an Umfang… wie dem auch sein, zurück zur Kunst.
Die natürliche Transformation vollzieht sich im Atelier durch eine andere Form der Häutung. Das Bild wird aus dem Rahmen genommen und die Leinwand wird von den Leisten gelöst. Dann wird es brutal! Durch gezielte Hammerschläge auf die Ober- und Unterfläche des Bildes verpuppt sich die Form und es findet ein vollständiger morphologischer Umbau statt. Durch die Metamorphose erreicht das Bild mit seiner aufbrechenden Haptik eine neue physische Form und Bestimmung.
„Es geht darum einen Zyklus zu beenden“ so Bernd Caspar Dietrich. „Der erste Zyklus ist vollendet gewesen, der zweite Zyklus beginnt mit dem Verpuppen. Das Zerschlagen ist mit dem Verpuppen gleichzusetzen. Und während des Prozesses des Zerschlagens und der Energie, die dort freigesetzt wird, formiert sich schon das neue Bild - also der Schmetterling oder der Marienkäfer, wenn wir in der tierischen Analogie bleiben. Beim Zerschlagen entsteht tatsächlich die neue Form. Und bleiben wir nochmal beim Marienkäfer: er kommt in der Nacht heraus und strebt zum Licht, während der Schmetterling zur Blume strebt oder die Motte auch Richtung Licht. Das heißt, sie alle orientieren sich an einer energetischen Quelle. Die energetische Quelle in der Metamorphose ist eigentlich die Inspiration, das, was du empfindest bei dem Prozess des Zerstörens. Das ist wichtig. Ein Schlag zerbricht die Oberfläche und das, was zerbricht, kann man nicht immer hundert Prozent steuern, aber gleichwohl folgt es einer Inspiration, einem Gefühl zu wissen, dass das, was ich und wie ich es mache, richtig ist.
Der WHEEL Metamorphose ORANGE 25 hat unterschiedliche Stadien durchlaufen. Im Betonfundament liegt eine reflektierende konkave runde Form in der Anmutung eines Parabolspiegels, die Nabelschnur des Informationszeitalters. In der nächsten Verpuppung schält sich der Spiegel zum Urkontinent Pangaea, der ursprünglich alle Landmassen der Erde umfasste. In ihm war bereits die Textur eines Tarnanzuges angelegt. Der Tarnanzug als Basis der Gewalt. Aus der Gewalt der Natur und der Verschiebung der Kontinente drückte sich glühende Lava heraus in leuchtendem Orange. Die Farbe legt sich zentral und verbindend über den Urkontinent und zu den Rändern hin wie Lebensadern, die sich in Tränen wandeln. Sie fließen sie in alle Himmelsrichtungen. Das strahlende gelb-orange marginalisiert die tiefen Verletzungen und radikalen Einschläge in der Betonoberfläche. Durch viele Gespräche rund um die Aktionen Orange the world und ZONTA says NO! hat sich das Bild Metamorphose ORANGE25 in ein „End violence against woman and girls“ gehäutet. Gewalt im Allgemeinen bleibt ein globales gesellschaftliches Thema, dass uns alle angeht.